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"Heimat-Check", Lokalzeitung verfehlt eigenen Anspruch

Der jüngste Schlager der Nordsee-Zeitung (NZ) ist ihr vor kurzem gestarteter „Heimat-Check“. Mutmaßlich sollte damit eine besondere Nähe der Lokal- bzw. Heimatzeitung mit ihrer Leserschaft demonstriert werden. Ein netter Marketinggag, der journalistisch betrachtet ziemlich schräge Ergebnisse liefert. Aber das ficht den Verlag nicht an. Schauen wir doch mal etwas genauer hin: 

NZ 31.5.2025

Die „Berichterstattung“ nimmt sich einzelne Stadtteile Bremerhavens und Gemeinden der Region. Zum Beispiel Leherheide: Der Stadtteil von Bremerhaven hat laut Stadtverwaltung am Ende des vergangenen Jahres 16.489 Einwohnerinnen und Einwohner; laut NZ vom 26.5.2025 haben am sogenannten Heimat-Check der Zeitung 152 Menschen aus Leherheide „ihre Stimme abgegeben“ (interessante Wortwahl!), das sind nicht einmal 1 Prozent der dort Wohnenden. Betrachtet man zudem die Altersgruppen, dann stellt man fest, dass die größte Gruppe der Teilnehmenden an dieser obskuren Umfrage mit 34,2 Prozent die 60 – 69-Jährigen sind, gefolgt von den 50 – 59-Jährigen mit 20,4 Prozent. Die Teilnahme von jüngeren Leuten ist praktisch zu vernachlässigen. Das gleiche Bild gilt für Lehe. Dort wurden am 31.12.2024 laut Stadtverwaltung 39.021 Menschen gezählt, beteiligt an der Umfrage haben sich laut NZ „fast 400 Bewohner“ (Frauen wurden offensichtlich nicht mitgezählt), was ungefähr einem Prozent entspricht. Auch hier sind die größten Gruppen der Antwortenden im Alter zwischen 50 und 69 zu finden. Auch wenn die NZ am Beginn der „Auswertung“ ihrer Serie zugibt, dass sie nicht repräsentativ sei, tut sie so, als ob die in den Antworten genannten Themen tatsächlich in den Stadtteilen relevant wären. Abgesehen von der geringen Teilnehmendenzahl und dem Schwerpunkt des Alters der Antwortenden jenseits der 50 hat die Umfrage selbstredend nur diejenigen erreicht, die in der Regel Abonnenten der Nordsee-Zeitung sind. Man könnte darüber mit einem Lächeln des Bedauerns darüber, dass die NZ solche merkwürdigen und eher untauglichen Spielchen zur Erweiterung der Leserschaft nötig hat, hinweggehen. Doch offensichtlich meint man im Haus der NZ, mit der Aktion zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können. Einerseits „pfiffiges“ Marketing, andererseits ein Themenreservoir bis ins mediale Sommerloch hinein, mit dem man sich einreden kann, mit den Themen doch „nah dran“ zu sein an den Problemen der Menschen in der Region. Mit fundierter Regionalberichterstattung hat das m. E. nichts zu tun. Aber wenn der Verlag meint, so seine schmalen Personalressourcen verplempern zu können… Das ist aber nur die eine Seite. 

NZ 26. 5. 2025

Auf der anderen Seite zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass diese Lokalzeitung damit einen Pfad beschritten hat, den man nicht anders als problematisch nennen kann. Das zeigt sich insbesondere daran, wenn die NZ zu Podiumsdiskussionen über die Ergebnisse ihres „Heimat-Checks“ einlädt. Darf sie, soll sie, vielleicht ist das ja eine Marketingaktion, die ihr neue Abonnenten beschert. Das bezweifle ich zwar stark, aber bitte. Das Problem besteht darin, dass sich die Nordsee-Zeitung aus der journalistischen Rolle, die berichtet, beleuchtet und kommentiert, in die Rolle einer politischen Akteurin begibt, ohne jedoch irgendwie politisch legitimiert zu sein und politisch Verantwortung zu übernehmen. Beispiel gefällig? Wenn in der Ankündigung zu den Podiumsdiskussionen geschrieben wird: „Was läuft gut – und wo müssen wir handeln?“ [Hervorhebung VH] ermächtigt sich ein Medium. Das ist jedoch nicht seine Aufgabe. Seine Aufgabe wäre, wie der Chefredakteur dieser Zeitung in der gleichen Ausgabe am 31.5.25 schreibt: „Früh wissen, was passiert und was das für den eigenen Alltag bedeutet: Das ist es, was Leserinnen und Leser von einer modernen Heimatzeitung vor allem erwarten.“ Dass mit diesen Sätzen ein neues Verlagsprodukt angekündigt wird, das sich gerade dadurch auszeichnet, nichts Neues, sondern schon veröffentliche Berichte oder Reportage zu recyclen, - geschenkt. Jeder verbrennt sein Geld, wie es ihm beliebt. 

NZ 31. 5. 2025

Aber dass diese Zeitung genau nicht ihren Ansprüchen genügt, kann man in der gleichen Ausgabe nachlesen. Ich spreche jetzt nicht von dem sich selbst ermächtigenden Verständnis ihrer Podiumsdiskussionen, sondern von einem Bericht, bei dem es um die Erhöhung der Gebühren der Stadtbibliothek Bremerhaven geht. Dort schreibt die Zeitung: „Die Stadtpolitik hat jüngst grünes Licht gegeben: Die Gebühren für Nutzer der Stadtbibliothek in Bremerhaven steigen an.“ Bemerkenswert sind nur in diesem einen Satz zwei Dinge: Zum einen steht da die indifferente Bezeichnung „Stadtpolitik“. Was heißt das? Leider steht in dem Artikel nicht, dass eine Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung dies beschlossen hat. Haben alle Stadtverordnete zugestimmt? Wenn es nicht alle waren, wer hat dann zugstimmt, wer nicht? Und womöglich warum nicht? Wäre es nicht ein Beitrag demokratischer Verantwortung, hier die Beteiligten Fraktionen bzw. Wählergruppen zu nennen und sie nicht unterschiedslos unter den Begriff „Stadtpolitik“ einzuordnen. Und dann heißt es in dem Satz, es sei „jüngst grünes Licht gegeben“ worden. Liebe Leute, die Sitzung der Stadtverordnetenversammlung, in der die Gebührenerhöhung beschlossen wurde, war am 15.5.25, der Artikel erscheint jedoch erst am 31.5.25. Wenn die NZ das darunter versteht, was der Chefredakteur mit „Früh wissen, was passiert und was das für den eigenen Alltag bedeutet“, dann kann man nur sagen, Gute Nacht!

NZ 31. 5. 2025

Noch eine kleine Nachbemerkung: Der Verleger der Nordsee-Zeitung und Vorsitzende des Verlegerverbands BDZV Matthias Ditzen-Blanke hat ja erst gegen die Öffentlichkeitsarbeit von öffentlichen Pressestellen gewettert und durch deren Arbeit die Demokratie in Gefahr gesehen: Wenn man die politischen Auseinandersetzungen beispielsweise in der Stadtverordnetenversammlung sozusagen entpolitisiert und nur noch häppchenweise ohne direkten Bezug darüber berichtet, wenn überhaupt, dann ist das ein Armutszeugnis und eine Bankrotterklärung gegenüber dem ständig behaupteten journalistischem Anspruch. Und es belegt die Notwendigkeit öffentlicher Institutionen, darüber auf ihren verschiedenen Informationskanälen zu berichten.