Wider ein kriegslogisches Denken

Es ist schon eine psychologisch interessante Frage, warum der leitende Redakteur der Süddeutschen Zeitung Joachim Käppner in seinem Beitrag über das sog. Manifest einer Gruppe von SPD-Mitgliedern um den früheren SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich eine Erbediskussion vom Zaum bricht, wenn er die Frage stellt, „ob sich die Verfasser zu Recht auf das Erbe historischer Vorbilder wie vor allem des Entspannungspolitikers Willy Brandt oder Michail Gorbatschows berufen.“ (https://www.sueddeutsche.de/kultur/spd-manifest-russland-entspannungspolitik-putin-willy-brandt-li.3268209Denn das tut niemand in dem „Manifest“. Allenfalls indirekt, indem auf die überragende Bedeutung der KSZE-Schlussakte von Helsinki 1975 abgehoben wird, die ein Endpunkt dessen war, was man die historische „Entspannungspolitik“ nennt. Tatsächlich ist die Forderung, die die Autorinnen und Autoren des Manifests im Hinblick auf die KSZE-Schlussakte formulieren, aller Ehren wert: „Nicht einseitige Schuldzuweisungen, sondern eine differenzierte Analyse aller Beiträge zur Abkehr von den Prinzipien von Helsinki ist notwendig. Gerade deshalb dürfen wir jetzt nicht die Lehren aus der Geschichte vergessen. Eine Rückkehr zu einer Politik der reinen Abschreckung ohne Rüstungskontrolle und der Hochrüstung würde Europa nicht sicherer machen. Stattdessen müssen wir wieder an einer Friedenspolitik mit dem Ziel gemeinsamer Sicherheit arbeiten“.

 

Ob mit dieser quasi Balance von Verantwortlichkeiten im „Westen“ und im „Osten“, sprich Putins Russland, ein Weg aus der Krise mit ihrer Kriegslogik gezeigt werden kann oder ob er naiv „die Neoimperialisten und Kriegstreiber im Kreml“ (Käppner) unterschätzt, darf bzw. sollte ernsthaft diskutiert werden. 

 

Es spricht für die Binnenpluralität der SZ, dass genau das Meredith Haaf in ihrem Kommentar mit dem Titel „Mützenich und Co haben dem Land einen Dienst erwiesen“ fordert. „Um anzuerkennen, dass das ein Wert an sich ist, muss man nicht einverstanden sein mit den Antworten, die Mützenich und Co geben. Aber, Achtung: Man darf mit ihnen einverstanden sein. Das macht einen nicht zum Mitglied in Putins fünfter Kolonne. Denn es ist nicht nur berechtigt, darüber zu diskutieren, ob sich dieses Land wirklich verpflichten will, einen großen Teil seines Haushalts in Militärausgaben zu investieren – es ist für eine Demokratie sogar unabdingbar. Dass man daran inzwischen erinnern muss, ist schon ein bisschen erstaunlich. (https://www.sueddeutsche.de/meinung/kommentar-spd-verteidigungspolitik-manifest-debattenkultur-li.3268028Aber in einer Zeit, in der politische Talkshows, die ja ihren, nun ja, Unterhaltungswert aus konfrontativen Zuspitzungen ziehen, scheinen Debatten, die alle Beteiligten weiter bringen, aus der Zeit gefallen.

 

Angesichts der wirklich bedrohlichen Lage und vielleicht als Aufforderung an alle Seiten, erst einmal gedanklich abzurüsten, sei an den Aufsatz von Jürgen Habermas erinnert, der unter dem Titel „Für Europa“ Anfang März 2025 in der SZ den richtigen Ton angeschlagen hat und u. a. folgendes zu Papier brachte: „Mithilfe der USA musste Europa der angegriffenen Ukraine zu Hilfe kommen, um deren staatliche Existenz schnell genug zu sichern. Aber statt des fahnenschwenkenden Kriegsgeschreis und des lauthals angestrebten ‚Sieges‘ über eine Atommacht wie Russland wäre damals ein realistisches Nachdenken über die Risiken eines längeren Krieges am Platz gewesen. Es fehlte der kritische Blick für die Gefahr eines Bruchs mit dem bisherigen Weltwirtschaftssystem und einer bis dahin noch mehr oder weniger ausbalancierten Weltgesellschaft.“

 

Vielleicht sollten sich alle kritischen Geister einmal aus ihren allzu sicheren Gedankenhäfen bewegen und den von Habermas angemahnten „kritischen Blick“ aktivieren.  - Denn mir scheint richtig zu sein, was Habermas zu bedenken gibt: „Mich erschreckt, von welchen Seiten die deutsche Regierung, die sich nun zu einer beispiellosen Aufrüstung des Landes anschickt, gedankenlos oder gar ausdrücklich mit dem Ziel der Wiederbelebung einer zu Recht überwunden geglaubten militärischen Mentalität unterstützt wird.“ (https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/kultur/juergen-habermas-gastbeitrag-europa-e943825/)

 

Diese so erschreckende Konformität des Denkens in einer Art „militärischer Mentalität“ versucht das Papier von SPD-Mitgliedern aufzubrechen. Die reflexhaften Beschimpfungen als „Realitätsverweigerung“ (Boris Pistorius) sind nichts anderes als ein Zeichen von Schwäche. Denn es ist notwendig, dass neben einem Plädoyer für Verhandlungen „der Westen gerade wegen seiner militärischen und materiellen Unterstützung der Ukraine ein Konzept dafür entwickelt, welche Ziele er jenseits der Schlachtfelder mit seiner sehr aktiven Nichtbeteiligung am Krieg verfolgt.“ So Kurt Kister in seiner luziden Betrachtung zum „Plädoyer für Verhandlungen“ von Jürgen Habermas am 14. Februar 2023, also vor zwei Jahren.

 

 

 

Nachbemerkung: Dass die Sozis ihren Beitrag „Manifest“ nennen, ist ein wenig dämlich, weil sie sich damit scheinbar in das Fahrwasser des eher naiven „Manifests für den Frieden“ von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer begeben. Das sollten sie nicht tun.