Nachdem der Bremer Senat als Landesregierung im Zwei-Städte-Staat Bremen den Haushalt der Stadt Bremerhaven nicht genehmigt hatte, war manche ratlos, mancher hämisch. Dafür gibt es allerdings keinen Grund. Tatsächlich ist das Verhältnis Bremerhavens im Zwei-Städte-Staat noch nie einfach gewesen. Was an beiden Seiten, an Bremen und an Bremerhaven gelegen haben dürfte. Warum das so ist, soll ein kleiner Rückblick samt Ausblick beleuchten.

Wenn in Bremerhaven eine Besonderheit immer wieder hervorgehoben wird, ist es die gewissermaßen einmalige Selbstständigkeit in Fragen der Finanzen und des Haushalts, wie sie keine andere Kommune vorzuweisen habe. Diese Besonderheit drückte sich darin aus, dass sich die Stadt Bremerhaven 1947 selbst eine „Verfassung“, in Wahrheit eine Satzung, gegeben hat und der damalige Oberbürgermeister Gerhard van Heukelum zum Verhältnis der beiden Städte im Bundesland Bremen sagte: „Wir verwalten uns hier, ihr [gemeint ist Bremen] verwaltet euch dort.“ Das führte dazu, dass es im Land Bremen keine Kommunalaufsicht gibt, wie sie in Flächenländern üblich ist. Gleichwohl musste sich die Stadt Bremerhaven beispielsweise ihren Haushalt vom Senat genehmigen lassen, nicht zuletzt deswegen, weil die Stadt ja auf Zuweisungen des Landes angewiesen war und ist. Das führte immer wieder zu Reibereien, wie sich beispielsweise bei einem Besuch des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer am 13. Februar 1964 zeigte, der, bevor er in Bremen die Gästerede beim traditionsreichen Schaffermahl im Rathaus zu halten hatte, Bremerhaven besuchte. Oberbürgermeister Hermann Gullasch begrüßte den Kanzler und nannte auch gleich das größte Problem Bremerhavens: eine drohende Schiffbaukrise. Dabei erhoffe sich Bremerhaven mit seinen rund 10.000 Werftarbeitsplätzen Hilfe von der Bundesregierung, so der Oberbürgermeister. Adenauer antwortete darauf sehr lapidar: „Seien Sie überzeugt davon, daß wir im Binnenland und insbesondere die Bundesregierung die Bedeutung der Küstenstädte, die Bedeutung der Seeschiffahrt, die Bedeutung der Schiffswerften vollauf würdigen und erkennen.“ Doch dämpfte er zugleich allzu große Erwartungen an die Bundesregierung auf sonstige Hilfen: „Sie haben andere Probleme berührt, die mich als früheren Oberbürgermeister der Stadt Köln auch angesprochen haben. Aber, es müssen sich ja zuerst die Städte mit ihren Ländern auseinandersetzen – und ich glaube, das wird eine schwerere Nuß sein als wenn Sie sich mit dem Bund auseinanderzusetzen hätten. Wenn Sie eine Nuß nach der anderen knacken, wird’s schon weitergehen.“ Reaktionen des danebenstehenden Präsidenten des Senats, Wilhelm Kaisen, sind nicht überliefert.
Tatsächlich hat das Gegeneinander, das Nebeneinander und das Miteinander der beiden Städte im Land Bremen im Grunde bis ins Jahr 2025 einigermaßen gut funktioniert. Das lag vor allem auch daran, dass die Stadt Bremen meist in einer ähnlichen Lage wie die Stadt Bremerhaven war, aber auch daran, dass Bremen bis Ende 2020 seinen städtischen Haushalt mit dem Landeshaushalt gemeinsam führte, so dass nicht wirklich sauber zwischen Landesmitteln und städtischen Mitteln unterschieden werden konnte. Erst seit dem 1. Januar 2021 werden der Landeshaushalt und der städtische Bremer Haushalt getrennt. Das war zumindest auf dem Papier bzw. der Computerdatei so, in den Köpfen der meisten bremischen Haushälterinnen und Haushälter war das eher noch nicht so. Deshalb wurden zum Beispiel die städtischen Kliniken in Bremen durch Haushaltsmittel des Landes in einer Weise subventioniert, wie das für das städtische Klinikum in Bremerhaven nicht in gleichem Maß geschah. Ähnlich war das bei Subventionen für den Bremischen Öffentlichen Personennahverkehr, die BSAG, die viel Geld aus dem Landeshaushalt erhielt, die Bremerhavener Busgesellschaft VGB bekam dagegen nur einen kleinen Bruchteil Landesförderung. Für die Bremische Senatsverwaltung und Politik war es schon immer schwer, Bremerhaven nicht als Landesaufgabe zu betrachten, zumal es auf Bremerhavener Gebiet das zur Stadt Bremen gehörende Überseehafengebiet sowie den zum Land Bremen gehörenden Fischereihafen gibt, wofür die Bremische Verwaltung (ob nun Land oder Stadt) ohnehin zuständig war. Dass bis in die 1990er Jahre so zentrale Areale wie der Alte und Neue Hafen und die herumliegenden Flächen nicht Bremerhaven, sondern hoheitlich zur Stadt Bremen gehörten, sei nur erwähnt. Schon allein deshalb hat man sich nur eher nebenbei mit der Haushaltsführung in Bremerhaven beschäftigt, vor allem dann, wenn Bremerhaven Geld von Bremen wollte.
Einen großen Bruch bei der Finanzierung der städtischen Haushalte gab es in der Nachkriegsgeschichte mit der umfassenden Steuerreform der Großen Koalition im Bund am Ende der 1960er Jahre. In diesem Zug gab es auch eine Gemeindefinanzreform, die die Finanzierung der Kommunen auf ganz neue Füße stellte. In Bremerhaven war seitdem immer wieder die Erzählung zu hören, dass diese Reform viele Probleme bei den städtischen Haushalten geschaffen habe, weil damit nun die Lohn- und Einkommenssteuer am Wohnort abgeführt werden musste im Gegensatz zu früher, wo sie am Arbeitsort geblieben sei. Dies habe Bremerhaven gegenüber dem Umland schwer benachteiligt, was natürlich auch für die Stadt Bremen und ihr Umland gelte. Die Erzählung ist gut, stimmt aber leider nicht. Tatsächlich war es so, dass bis zur großen Gemeindesteuerfinanzreform 1969 die Gewerbesteuer mit den Teilen Ertrag, Kapital und Lohnsummensteuer die wichtigste Einnahmequelle der Gemeinden war. Die Änderung der Einnahmesituation war notwendig geworden, weil zum einen die Einnahmen je nach Entwicklung der Gewerbesteuerpflichtigen stark schwanken konnten, (wenn es den örtlichen Gewerbebetrieben gut ging, bekam die Gemeinde mehr Geld, wenn es den Betrieben schlecht ging, waren die Einnahmen der Gemeinden geringer), zum anderen waren vor allem Städte im Vorteil, die viele und finanzkräftige Betriebe hatten, während ländliche Gegenden mit wenigen und meist kleinen Betrieben kaum eigene Einnahmen generieren konnten. Hinzu kam, dass tendenziell die Einnahmen der Kommunen seit den fünfziger Jahren rückläufig waren. Fachleute kamen nach der Reform zu dem Schluss, dass mit der Gemeindefinanzreform 1969 die wichtigsten Ziele erreicht werden konnten. Die Bedeutung der konjunkturanfälligen Gewerbesteuer wurde reduziert, und mit der stetigen Einnahmequelle des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer wurden darüber hinaus Steuerkraftunterschiede teilweise ausgeglichen. Für die Stadtstaaten in der Bundesrepublik, Berlin, Hamburg und Bremen, war diese Reform insofern schwierig, weil sie anders als die Flächenländer in einer Doppelrolle als Land und als Kommune waren. Fiel das in Berlin und Hamburg nicht so sehr ins Gewicht, weil eben die kommunalen Anteile an der Lohn- und Einkommenssteuer quasi das Land entlasteten, war es im Zwei-Städte-Staat Bremen mit seinen Städten Bremen und Bremerhaven schwieriger. Denn die seit 1970 geltende Steuerverteilung der Lohn- und Einkommenssteuer nach dem Wohnsitzprinzip führte zu einer massiven Abhängigkeit des Landes Bremen vom bundesstaatlichen Länderfinanzausgleich. Das führte zu einer jahrzehntelangen Unterfinanzierung aufgrund eines Steuersystems, das insbesondere dem Zwei-Städte-Staat Bremen trotz höherer Einwohnerwertung nicht gerecht wurde. Die sogenannte Einwohnerwertung betrug in Bremen und Bremerhaven mehr als hundert Prozent, weil damit die Kosten, die das Oberzentrum für die Region eingerechnet wurden. Hinzukam im Verhältnis der Städte im Land Bremen ein über Jahrzehnte nicht gelöstes Problem: Da, wie bereits erwähnt, in der Stadt Bremen selbst nicht trennscharf zwischen Landes- und Kommunalaufgaben unterschieden wurde, machte sich die Änderung dort nicht so stark bemerkbar wie in der Stadt Bremerhaven, die als industriell geprägte Großstadt durchaus von seinen Gewerbesteuereinnahmen profitiert hatte. Allerdings verlangte Bremerhaven nun von Bremen eine Kompensation der durch die Steuerreform entgangenen Einnahmen, was in der Landeshauptstadt alles andere als Begeisterung hervorrief. Abgesehen davon hatte Bremerhaven munter Schulden aufgenommen, um sich als Oberzentrum grundlegend zu modernisieren. Der damalige starke Mann im politischen Bremerhaven, der SPD-Fraktionsvorsitzende und Neue-Heimat-Geschäftsführer Werner Lenz sprach deshalb in den 1970er Jahren von der Investitionsschlacht, die für diese Modernisierung notwendig sei. Zudem ging er davon aus, dass in den immer wieder aufflammenden bundesweiten Diskussionen über Länderneuordnungen Bremerhaven für eine Übernahme durch Niedersachsen oder einen neu zu bildenden Nordstaat unattraktiv sei, weil niemand eine exorbitant verschuldete Stadt haben wolle. Die oft so gerühmte Freiheit Bremerhavens hatte also einen Preis, dessen Kosten tatsächlich seit dem Ende der 1980er Jahre immer wieder nach jeweils langwierigen und durchaus auch kontroversen Verhandlungen zwischen Magistrat und Senat vom Land durch Entschuldigungen getragen wurden. Denn trotz der in der Landesverfassung niedergelegten Vorschrift, gleichwertige Lebensverhältnisse in Bremen und Bremerhaven herzustellen, war vor allem diese Frage immer wieder ein Streitpunkt, der trotz mannigfacher Bemühungen und Gutachten nicht abschließend gelöst wurde. Eine grundlegende Regelung für eine Gemeindeordnung und eine Finanzaufsicht des Landes für seine beiden Städte hat es, trotz immer wiederkehrender Forderungen, nie gegeben. Wenn es eine Entschuldung Bremerhavens oder auch der beiden Städte durch das Land gegeben hat, verstummten die Forderungen nach solchen verbindlichen Regeln immer wieder ganz schnell, um bei der nächsten Überschuldung wieder aufzutauchen.
Nach der Nichtgenehmigung des Bremerhavener Haushalts 2025 durch den Senat tauchte erneut die Forderung nach einer gesetzlichen Regelung einer Finanzordnung für die beiden Städte im Land Bremen auf und sowohl der Präsident des Bremischen Senats, Andreas Bovenschulte, als auch der Oberbürgermeister Bremerhavens, Melf Grantz, erklärten am 26. 8. 2025, erstmals eine solche Gemeindefinanzordnung anzustreben.
Die durchaus komplizierte Materie mündete mehr oder weniger wiederkehrend bei den jährlichen bzw. zweijährlichen städtischen Haushaltsberatungen in die Aussage, dass Bremerhaven eigentlich pleite und eine arme Stadt sei. So wurde ein Negativimage aufgebaut, das das Lebensgefühl mancher Menschen in der Stadt und darüber hinaus beeinträchtigte. Die Schuldenproblematik der öffentlichen Haushalte verdeckte übrigens die bemerkenswerte Tatsache, dass das Land Bremen nach Hamburg beim erwirtschafteten Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner an der Spitze liegt, noch vor Bayern.
Tatsächlich betraf (und betrifft) das Problem der Unterfinanzierung die meisten Kommunen der Bundesrepublik, wie die kommunalen Spitzenverbände immer wieder hervorheben. Denn der Bund erlässt Vorschriften und beschließt Gesetze, die nicht selten von den Kommunen bewältigt und umgesetzt werden müssen, für die es in Regel aber nur Pauschalen gibt. Wer damit gut haushalten kann, ist fein raus, wer aufgrund von möglicherweise örtlichen Besonderheiten jedoch mit den Pauschalen nicht auskommt, häuft zwangläufig Schulden auf. Grundsätzlich wird man festhalten können, dass es zudem faktisch keine Bereitschaft der politisch Agierenden gibt, einmal verankerte Aufgaben auf den Prüfstand zu stellen und zu überlegen, ob sie bei Übernahme neuer Aufgaben nicht ersetzt werden könnten. Da von allen Aufgaben, die eine Stadt „freiwillig“ übernimmt, bestimmte Gruppen profitieren, fehlt meist der Mut der lokalen Politik, hier Korrekturen vorzunehmen und von Zeit zu Zeit den Haushalt strukturell zu überarbeiten. In vielen öffentlichen und internen Papieren der Stadt Bremerhaven lässt sich gut nachvollziehen, wie gerade strukturelle Betrachtungen, die auch den Abschied von liebgewonnenen Aufgaben (und Ausgaben) bedeutet hätten, nicht realisiert wurden. Das ist allerdings kein spezifisches Bremerhavenproblem.
